Nicola Siegrist ist Präsident der Juso Schweiz – Ein Interview

Aufgrund seiner Wahl ins Präsidium der JUSO Schweiz muss Nicola leider aus dem Vorstand der SP10 zurücktreten. Lisa Gollob spricht mit ihm über seine neue Aufgabe, seine Ziele und auf was er sich freut.
Nicola Siegrist
Nicola Siegrist

Nochmals herzlichen Glückwunsch zu deiner Wahl als Präsident der Juso Schweiz. Wie hast du dich in den ersten Wochen als Präsident eingelebt?

Ich bin mich noch am Einleben. Es ist nicht einfach, kurz vor den Sommerferien gewählt zu werden. Es sind viele bereits in den Ferien und somit ist der Politbetrieb etwas ruhiger. Wir haben unser grosses Projekt Zukunft vorbereitet, das Mitte August lanciert wurde.

Zuerst bist du als Vizepräsident der Juso Schweiz zurückgetreten. Kurz darauf hast du deine Präsidentschaftskandidatur der Juso Schweiz bekannt gegeben. Was hat dich nach deinem Rücktritt dazu bewogen für das Amt zu kandidieren?

Ich bin zurückgetreten mit der tiefen Überzeugung, dass es jetzt passend ist, den Platz jemand anderem zu überlassen. Während meiner Bachelorarbeit ist mir nochmals bewusst geworden, dass die Juso eine unglaublich wunderbare Partei ist und es für mich keinen anderen Ort gibt, an dem ich so politisieren kann. Das Präsidium bietet diese Position bzw. diese Möglichkeit. Aber vor allem auch habe ich in vielen Gesprächen gemerkt, wie und wo ich die Zukunft dieser Partei sehe. Ich war davon überzeugt, dass ich diese Vision dieser Partei besser transportieren kann als mein Gegenkandidat und habe mich deshalb dann zu einer Kandidatur entschieden. Es war ein langer Prozess und keine einfache Entscheidung mich nochmals aufzustellen, ich bereue es auf keinen Fall.

Was sind deine Ziele für die Juso in den kommenden Jah- ren?

Gegen aussen möchte ich, dass die Juso eine ernstzunehmende politische Kraft ist. Die mit konsequenten Inhalten auftritt. Für diese Inhalte müssen wir ernstgenommen werden, weil wir ein gutes Fundament haben und stark argumentieren können. Antworten wie die unseren braucht die Krise unserer Zeit. Das betrifft die Klimakrise, die wachsende Ungleichheit in der Schweiz und global, das betrifft den Kampf für Geschlechtergerechtigkeit und feministische Gleichheit, Migration und gegen Rassismus.

Intern geht es darum, die etwa 1000 Mitglieder, die wir in den letzten Jahren gewonnen haben, als Ressourcen zu nutzen. Das heisst, wir müssen diese Freiwilligenressourcen der Aktivist:innen besser nutzen und das braucht strukturelle Veränderungen. Ich möchte erreichen, dass die Menschen nicht nur für eine kurze Zeit politisch tätig sind, sondern für die nächsten 50 Jahre.

Du hast es vorher schon angetönt. Am Mittwoch, 17. August habt ihr auf nationaler Ebene die Initiative Zukunft lanciert. Worum geht es in der Initiative?

Mit der Initiative Zukunft möchte wir eine andere Klimapolitik. Das bedeutet, dass sie fair finanziert ist, sprich die Profiteur:innen des Systems zur Kasse gebeten werden. Die Profiteur:innen verursachen im Wesentlichen die Klimakrise und somit müssen sie auch für die Krise bezahlen. Auf der anderen Seite möchten wir sozial gerechte Klimapolitik finanzieren, das heisst Massnahmen, die nicht auf Individualismus ausgerichtet sind, sondern auf die gesamte Gesellschaft, auf das Kollektiv.

Mit der Initiative fordern wir, dass die gesamte Wirtschaft umgebaut wird, dass ökologisches Wohnen, Arbeiten und Leben möglich wird. Wir schlagen vor, dass die Finanzierung auf einer hohen Erbschaftssteuer auf hohe Vermögen basiert. Ab einer Erbschaft in der Höhe von 50 Millionen CHF soll eine 50% Erbschaftsteuer erhoben werden. Man kann die Initiative auf www.zukunft-initative.ch un- terschreiben. Zudem findet man genauere Details auf der Internetseite.

Als Juso Präsident bist du auch automatisch im Präsidium der SP Schweiz. Auf was freust du dich und wo sieht du Handlungsbedarf in der Zusammenarbeit?

Ich glaube, dass sich einiges verbessert hat mit dem neuen Präsidium um Mattea Meyer und Cedric Wermuth. Sie machen mehr Kampagnen, sie verwenden eine konsequentere Sprache, sie ziehen auch mal rote Linien, wo rote Linien nötig sind. Als SP dürfen wir uns nicht in den Trott begeben, es war schon immer so und deshalb machen wir es weiterhin so. Das hat sich z.B. in der Pandemie gezeigt, wo ich überhaupt nicht zufrieden war mit der Politik und der Kommunikation der SP Schweiz. Konkret möchte ich im Präsidium die Stimme der Bewegten von der Strasse vertreten, sowie einer aktiven Basis. Ich arbeite gerne dort mit, wo die grossen Themen liegen. Bei der Klimapolitik der SP, die neu aufgestellt wird, kann ich u.a. einen aktiven Beitrag leisten.

Es ist nicht ganz einfach mit dieser doppelten Rolle, denn ich bin nicht einfach Juso Präsident im SP Präsidium, man ist auch Vizepräsident der SP, das heisst ich muss die Rolle wahrnehmen, die die Juso wahrnehmen muss und mich gleichzeitig aber auch in die Position der SP Schweiz hinein versetzen. Das ist ein Dilemma, das teilweise zu Wider- sprüchlichkeiten führt. Es ist besonders dort schwierig, wo wir die Meinung nicht teilen. Ich weiss noch nicht genau, wie ich das langfristig lösen möchte.

Du bist auf Instagram (Insta) sehr aktiv. Zudem berichtest du regelmässig aus dem Kantonsrat. Was sind deine Erfahrungen und wie hat sich die Reichweite ausgewirkt?

Es ist lustig, ich übernehme fast eine öffentliche Dienstleistung mit diesem Instagramaccount für den Kantonsrat. Ursprünglich war es für mich eine Ausrede um Instagram zu benützen, weil ich Insta gar nicht so mochte. Mit der Kommunikation vom Politischen aus dem Kantonsrat ist man offensichtlich dazu legitimiert. Über die letzten Jahre hat sich eine breite Follower:innenschaft ergeben, die tatsächlich daran interessiert ist, was im Kantonsrat geschieht. Es ist lustig, wie häufig ich auf diesen Account angesprochen werde, von Leuten, die ich nicht kenne oder von denen ich gedacht habe, dass sie sich nicht für den Kantonsrat interessieren. Ich glaube diese 1500 Leute sind dadurch besser informiert, was in der kantonalen Politik läuft. Ob sich das auch als Wahlerfolg bei den kantonalen Wahlen auszahlt, das steht noch in den Sternen.

Eine kleine Anekdote: Ich wurde von einer Medienschaffenden von einem Fernsehsender aus der Region Zürich, Schaffhausen und Thurgau auf den Account angesprochen und sie hat gesagt, sie hätte diesen Account jeweils benutzt, um zu beurteilen, ob es sich jeweils noch lohne, in den Kantonsrat zu kommen oder nicht.

Die Schattenseiten von Socialmedia sind gross. Die Hasskommentare sind ein grosses Problem. Wie gehst du damit um? Was empfiehlst du Menschen, die mit solchen Themen konfrontiert werden?

Es ist krass, wie unterschiedlich der Umgang oder die Erfahrungen mit Hass im Netz sind. Ich habe jahrelang mitbekommen, was Tamara Funicello und Ronja Jansen für Mails, Briefe, Nachrichten auf Socialmedia erhalten haben. Ich hingegen habe bis jetzt noch keinen einzigen Hasskommentar erhalten. Die Diskrepanz bei den Geschlechtern ist somit vorhanden. Leute sind auch nicht automatisch mit mir einverstanden, sie kritisieren mich auch aber auf einer anderen Ebene. Ich bekomme keine Drohungen, ich werde nicht abgewertet auf mein äusseres Erscheinungsbild und grundsätzlich lässt sich in den Kommentaren sehen, dass ich ernster genommen werde als es bei Ronja oder Tamara der Fall war. Es kann sein, dass sich dies noch ändert, jedoch ist es schon ein struktureller Unterschied. Im Zeitungsartikel werden radikale Positionen kritisiert und ich werde auch regelmässig nicht ernstgenommen. Es heisst dann, ich solle Arbeiten gehen, bevor ich meine Klappe aufmache. Aber bei ihnen hiess es: «Sie soll mal Arbeiten gehen, bevor sie die Klappe aufmacht die dumme Kuh.»

Es macht etwas mit einem, wenn man solche Kommentare liest. Jede Person muss seine eigene Strategie finden. Es gibt Leute, die konfrontieren, andere veröffentlichen Sachen, um zu zeigen was alles geschrieben wird. Es gibt auch die Möglichkeit juristische Schritte einzuleiten. Die Gesetze gelten auch im Netz und gewisse Leute müssen das auch lernen. Bei Drohungen empfehle ich grundsätzlich Anzeige einzureichen.

Das Präsidium und der Kantonsrat ergeben zusammen ein Arbeitspensum von über 150%. Wie gestaltest du dein Engagement, so dass du nicht ausbrennst?

Das ist eine gute Frage. Ich habe mir fest vorgenommen sehr institutionalisierte Pausenzeiten zu machen. Sonntag sollte grundsätzlich frei sein und ich möchte zwei Abende in der Woche, an denen ich grundsätzlich nichts mache. Es ist nicht sehr viel Pause, aber mit dem kann man es durchhalten. Ehrlicherweise funktioniert dieser Plan momentan noch nicht. Aber die Ruhepausen sind zwingend notwendig, um den Kopf frei zu kriegen. Das Pro- blem an einer Präsidiumsfigur ist, man ist die Partei, man trägt jegliche Verantwortung gegen aussen, wenn es Kritik gibt, dann kommt die zu mir und verschmilzt auf eine Art mit dieser Rolle. Es gibt nicht den Nico Siegrist privat und den Nico als Präsidenten, sondern das ist eine Figur und das kann gefährlich sein. Ich glaube, dass ich mit einer gewissen Widerstandsfähigkeit gesegnet bin, aber die hört auch irgendwo auf. Ich weiss, dass ich meine Grenzen habe und diese früh genug erkennen und respektieren muss.

Was empfiehlst du, wie ein nachhaltiges politisches Engagement gestalten werden kann, so dass man auch nicht nach einem oder zwei Jahren wieder aussteigt, weil man ausgebrannt ist?

Ich finde, dass es eine grosse Brandbreite an Engagement gibt. Es gibt diejenigen die neben dem Job noch beispielsweise 40 % Politik oder Aktivismus betreiben. Es braucht aber auch Platz für jene, die 5 % machen, oder andere, die einmal im Monat an eine Veranstaltung gehen. Wichtig ist, frühzeitig zu sagen, jetzt mache ich weniger, um dann eine Zeit weniger zu machen um dann vielleicht wieder aktiver zu werden, um nie sagen müssen, jetzt steige ich komplett aus, weil ich keine Energie mehr habe. Wenn alle Leute, die jemals Links und aktiv waren, heute noch aktiv wären, dann hätten wir eine viel potentere politische Schlagkraft. Meine Empfehlung ist, wenn es nicht mehr geht, dann streicht man Dinge, jedoch sollte man versuchen, ein Grundrauschen beizubehalten.